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Don´t kick-off

Es braucht einen Anfang… braucht es das?

 

Im Zuge längerfristiger Projekte ist folgendes Vorgehen gut bekannt. Nach einer längeren Auftragsklärung folgt die intensive Vorbereitung, dann entsteht ein Plan mit diversen Inhalten, dieser wird geprüft, verbessert und für gut befunden. Man kann endlich loslegen mit der Umsetzung.

 

Und dann kommt er. Der Satz, der manchen mittlerweile erzittern lässt. Irgendjemandem fällt ein, dass er oder sie in einem ähnlichen Vorhaben eine ganz bestimmte Veranstaltung besucht hatte. Und dann wird sie herbeigefragt: “… und wann machen wir das Kick-Off?”

Wenn es nach uns geht, besser gar nicht.

 

Es gibt gute Gründe

 

Natürlich gibt es wunderbare, gut gemachte, folgerichtige Events dieser Art, die das künftige Vorhaben gut starten lassen, die Menschen begeistern oder einfach für eine gut informierte Basis sorgen.

 

Zu einer solchen zählen wir zum Beispiel ein Kick-Off zu einem großen Veränderungsprozess innerhalb einer Konzern-IT. Dort hat sich der Geschäftsführer auf die Bühne gestellt, schaute den Mitarbeitenden ins Gesicht und sagte: “Wir wissen heute noch längst nicht alles, was da auf uns zukommt. Vieles ist noch nicht zu Ende gedacht und geplant. Ich kann heute noch nicht alles beantworten, weil ich noch nicht alle Fragen kenne. Aber ich weiß, dass wir es zu gegebenem Zeitpunkt gemeinsam lösen werden.” Das war ehrlich und aufrichtig. Auf einen Schlag waren alle Gerüchte vom Tisch, es gäbe eine Hidden-Agenda, man sei kurz vor dem oder jenem und ganz bestimmt würde man bald dies oder das machen.

 

Zentrale Aussagen dieser Art sollten nicht per Email verkündet werden, sondern persönlich, im möglichst großen Kreis. Ein Kick-Off im Vorfeld bietet sich also an und ist gut investierte Zeit.

 

Sozial erwünschte Peinlichkeiten

 

Und dann gibt es noch die anderen Events. Diejenigen, die einem das Gefühl geben, im falschen Film zu sein. Oder der einzige in der großen Halle, der sich gerade fragt, ob das ernsthaft gemeint sein kann.

 

Häufig wird dazu der größte und repräsentativste Raum des Unternehmens genutzt. Oder man geht gleich raus, bucht eine Halle, Busse, Catering und Co. Es folgen Reden und Danksagungen. Dann wird es endlich etwas konkreter und die Meilensteine des anstehenden Vorhabens werden verdeutlicht. Fragen kann man nicht stellen, dies steht nicht auf der Agenda. Stattdessen wird die „Mannschaft beschworen“, vielleicht sogar laut ein Slogan ausgerufen. Man klatscht, jubelt und schaut sich fragend um, ob auch wirklich alle mitmachen. Die Marketing-Abteilung hat ganze Arbeit geleistet und ein jeder bekommt beim Hinausgehen eine Tüte voller „Goodies“. Um die steuerlichen Vorgaben nicht zu überschreiten, gibt es günstigen Klimbim. Stift, Mauspad, Antistress-Knetball und Traubenzucker. Allesamt mit dem soeben noch bis zur Heiserkeit gebrülltem Slogan versehen.

 

Man geht leicht verstört zurück an den Arbeitsplatz. Und macht dort weiter, wo man wenige Minuten vor dem Event rausgerissen wurde. Irgendwo wird bestimmt gerade an dem eben besungenen Projekt gearbeitet, denkt man.

 

Als die Welt noch nicht VUCA war

 

Wie kommt es dazu? Warum denkt man stellenweise, dass ein solches Event pauschal gut passt und quält dann weite Anteile der Belegschaft durch stellenweise nervige Einschwörungs-Shows? Was erhofft man sich davon?

 

Die Beantwortung dieser Fragen fällt uns nicht leicht, aber wir haben da eine Hypothese: eventuell rührt es noch aus Zeiten, die etwas übersichtlicher waren. Als man die eine Software, den einen Prozess oder das eine Vorgehen jahrelang mit geringfügigen Änderungen nutzen und leben konnte. Und dann, als dieser endgültig abgenutzt war, hat man etwas Neues ins Leben gerufen. Um hier den Übergang klar zu markieren, hat man ein Event daraus gemacht. Den einen Termin, ab dem man „das Neue“ nutzen sollte.

 

In Zeiten ständiger Veränderung, unsicherer Prognosen und unzähliger Variablen ist es sicherlich schwerer, eine solche Linie zu ziehen, an welcher das Neue beginnt und das Alte aufhört. Wandel umgibt uns, wird zunehmend zur Normalität. Der vielbemühten Aristoteles-Studie von Google hat man die Erkenntnis abgewonnen, dass Menschen dem Wandel bald eine beruhigende Wirkung zusagen werden. Wenn man also das Gefühl hat, die Organisation sei in steter Veränderung, ergibt das Sicherheit.

 

Machen statt ankündigen

 

Umso fragwürdiger erscheinen uns entsprechend die genannten Kick-Off-Events. Wenn Wandel zunehmend Normalität wird, warum wird dieser besonders zelebriert? Schlimmstenfalls gibt es viel Tam-Tam und im Folgejahr bereits etwas, das das gefeierte Projekt gleich wieder ablöst. Wieder mit bunten Ballons und neuem Knetball.

 

„Wie wäre es, wenn wir das mit dem Kick-Off überspringen und direkt mit der Umsetzung starten?“, fragen wir in Beratungen gerne an der Stelle. Und überraschenderweise ernten wir nach einem nur sehr kurzen Zögern bereits eine Zustimmung. Denn – das verraten wir an dieser Stelle – auch die Geschäftsführer, Projektleiter und andere Menschen, die sonst den Weg auf die Bühne hätten antreten müssen, sind der Events müde. Man macht mit, weil man es muss. Muss man?

 

Was wäre denn der nächste Step, nachdem wir „gekickofft“ haben? Eine Einweisung der Nutzer in die neue Software? Interviews mit einer bestimmte Ebene, um das neue Produkt auf sie zuzuschneiden? Eine Veränderung im Ablauf des Prozesses? Können wir dazu nicht kurz informieren und gleich damit starten? In der Regel ja.

 

Sie wollen eine Initiative starten, durch welche die Distanz zwischen dem Top-Management und der Unternehmens-Basis abgebaut wird? Machen Sie kein Kick-Off dazu. Ziehen Sie die Krawatte aus, treten vor Ihr Büro, duzen Sie die Menschen, schauen Sie in ihre Gesichter, interessieren Sie sich für sie. Sie sparen Mauspads und gewinnen direkte Effektivität.

 

Niemand wird fragen „Und was sollte das jetzt?“. Eine Frage, die häufig nach Kick-Off-Veranstaltungen gestellt wird. Man wird ihre Initiative anders wahrnehmen. Den Effekt auf den Alltag unmittelbar spüren. Abseits von Slogans und vollmundigen Bekundungen.

 

Gleich machen ist vielleicht das neue Loslegen.