
Liebe Lisa, als Expertin für das Thema Kommunikation gibst Du zahlreiche Workshops und coachst Einzelpersonen. Wie oft hast Du bereits vier Ohren und vier Münder gezeichnet?
Oh, das ist eine gute Frage. Ehrlich gesagt, kann ich das nicht mehr zählen. Visualisierung ist bei mir ein fester Bestandteil von Coaching und Training. Insofern kamen schon einige Ohren, Schnäbel und Quadrate zum Einsatz.
Mit meiner etwas saloppen Anfangsfrage spiele ich natürlich auf die vier Seiten einer Nachricht an. Dass dieses Modell auch in Zeiten digitaler Kommunikation nicht an Wert verliert, ist jedem klar. Aber was bleibt davon übrig, wenn wir vermehrt mit wenigen Wörtern, Abkürzungen oder Symbolen kommunizieren?
Meiner Meinung nach gewinnen gerade im Zeitalter der digitalen Kommunikation kommunikationspsychologische Modelle wie das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun noch weiter an Bedeutung. Das liegt daran, dass die digitale Kommunikation noch mehr Potential für Missverständnisse mit sich bringt, als das gesprochene Wort zwischen zwei Menschen.
Wenn wir Menschen kommunizieren und Informationen empfangen, dann orientieren wir uns zu deren Deutung nicht nur am gesprochenen Wort, sondern auch an der Mimik, Gestik und am Tonfall unseres Gesprächspartners. All das nutzen wir um zu interpretieren, wie das Gesagte des Gesprächspartners gemeint sein kann.
Übrigens ist das eine der zentralen Herausforderungen in der Kommunikation! Und die Deutung, wie das Gesagte meines Gesprächspartners wirklich gemeint ist, ist häufig die Quelle für Missverständnisse in der Kommunikation.
Was bei der Kommunikation per Smartphone und anderen digitalen Wegen schwieriger sein dürfte.
Bei der digitalen Kommunikation fallen die Interpretationshilfen wie Mimik und Gestik, und auch der Tonfall weg. Umso herausfordernder kann es beispielsweise sein, beim Verfassen einer Mail nur allein mit der Art der Formulierung den angemessenen Tonfall zu treffen. Ähnlich ergeht es dann dem Empfänger, der nun die Aufgabe hat, das Geschriebene “richtig” zu verstehen.
Hast Du dafür ein griffiges Beispiel?
Denken wir an eine Führungskraft, die ihrem Mitarbeiter etwas delegieren möchte. Wenn nun bei digitaler Kommunikation Mimik, Gestik und Tonfall wegfallen, so ist es umso herausfordernder für die Führungskraft, den Arbeitsauftrag angemessen zu formulieren. Als Forderung? Oder Bitte? Als Wunsch oder Anordnung? Plötzlich ist das geschriebene Wort ausschlaggebend.
Gerade zur Zeit der Corona-Krise wurden die meisten persönlichen Kontaktmöglichkeiten sehr stark beschränkt. Was kann man in solchen Situationen dennoch richtig oder zumindest besser machen?
Um im Zeitalter der digitalen Kommunikation die Chance für einen stimmigen Kontakt und Umgang, die Chance für gute zwischenmenschliche Begegnungen und Beziehungen zu erhöhen, lohnt es sich zu verstehen, was alles simultan passiert, wenn wir Menschen miteinander sprechen. Denn dann verstehen wir, warum es überhaupt diese vielfältigen Möglichkeiten für Störungen, Irritationen und Missverständnisse gibt. Und genau dazu dient das Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun. Es hilft uns zu verstehen, was passiert, wenn wir miteinander sprechen und wie es gelingt, einen konstruktiven, störungsfreien Kontakt herzustellen.
Ich kenne das Quadrat aus meiner eigenen Coaching-Ausbildung. Dennoch wird es nicht jedem geläufig sein, denke ich. Magst Du es anhand eines Beispiels erklären?
Stellen wir uns folgende Situation vor: Es treffen sich zwei Kollegen auf dem Flur. Arne sagt zu Jan:
“Ich habe gehört, du bist heute ausnahmsweise mal da!”
Was möchte Arne damit sagen? Wie ist diese Äußerung zu verstehen? Und wie wäre eine angemessene Reaktion von Jan? Das lässt sich so schnell nicht beantworten. Und würden wir mehrere Personen befragen, wie die Äußerung von Arne gemeint sein könnte, werden wir höchstwahrscheinlich diverse Antworten erhalten. Und alle sind “richtig”. Das ist das Schwierige in der Kommunikation.
Wenn ich als Mensch etwas von mir gebe, bin ich auf vierfache Weise wirksam. Jede meiner Äußerungen enthält, ob ich will oder nicht, vier Botschaften gleichzeitig:
- eine Sachinformation (worüber ich informiere)
- eine Selbstkundgabe (was ich von mir zu erkennen gebe)
- einen Beziehungshinweis (was ich von dir halte und wie ich zu dir stehe)
- einen Appell (was ich bei dir erreichen möchte)
Meist wird nur ein Aspekt der Äußerung explizit, also offensichtlich ausgedrückt. Die anderen drei Anteile einer Botschaft werden implizit, gewissermaßen unter der Wasseroberfläche, mitgesendet.
Ausgehend von dieser Erkenntnis hat Schulz von Thun 1981 die vier Seiten einer Äußerung als Quadrat dargestellt. Die Äußerung entstammt dabei den „vier Schnäbeln” des Senders und trifft auf die „vier Ohren” des Empfängers. Sowohl Sender als auch Empfänger sind für die Qualität der Kommunikation verantwortlich, wobei die unmissverständliche Kommunikation der Idealfall ist und nicht die Regel.
Empathiefähigkeit ist derzeit mehr gefordert, denn je
Deine Anmerkung, dass ein Aspekt vorrangig ausgedrückt wird, bringt mich zu einem aktuellen Bezug: Die meisten Unternehmen nutzen derzeit vermehrt virtuelle Arbeitswege - also Homeoffice - was auch sehr gut ist. Wir beobachten dabei allerdings, dass die Teams vorrangig Termine für Sachinhalte haben und nach der Klärung der Fakten der Austausch beendet wird. Entsprechend frage ich mich, welche Auswirkungen es hat, dass wir fast ausschließlich die Sachebene besprechen, zugleich alle Aspekte mitsenden, dann jedoch wortwörtlich auflegen. Anschließend haben wir meistens noch den Chat oder die Email zur Kommunikation. Wie wertest Du als Expertin diese Art der Kommunikation?
Meiner Meinung nach beschreibst Du ein typisches Merkmal unserer Arbeitswelt, welches sich sowohl analog als auch digital beobachten lässt. Berufliche Kommunikation findet in der Regel mit dem Schwerpunkt auf der Sachebene statt. Durch die vermehrt virtuelle Zusammenarbeit wird dieses Phänomen nun noch deutlicher. In Coachings oder Trainings mit Führungskräften höre ich häufig den Satz: “Im Berufsleben geht es um Fakten, also lassen Sie uns bitte sachlich bleiben.”
Das ist sicherlich richtig und doch nur ein Teil der Kommunikation. Digitale Kommunikation reduziert Nachrichten auf den Informationsgehalt. Informationen über das persönliche Empfinden oder die Beziehungsebene beider Seiten werden nur eingeschränkt deutlich. Dadurch steigt der Interpretationsspielraum, den eine Aussage eröffnet.
Und dieser Raum stellt die Gefahr dar?
Teams, die ausschließlich die Sachebene explizit besprechen, laufen meiner Meinung nach Gefahr, dass sich Unausgesprochenes und die daraus entstehenden Irritationen lang anstauen und unerwünschte Folgeerscheinung wie eine schlechte Arbeitsatmosphäre oder sachliche Fehler nach sich ziehen können.
Was rätst Du Teams, die in dieser Situation stecken?
Als Kommunikationstrainerin ist es mir ein großes Anliegen, Teams und Führungskräfte darin zu unterstützen, neben sachlichen und fachlichen Tagesordnungspunkten, in regelmäßigen Abständen auch persönlichen Anliegen Raum zu geben. Im besten Falle gelingt es dem Team auch in der virtuellen Welt ein Klima herzustellen, indem jeder Einzelne auch ein Stück weit als Mensch sichtbar werden kann und darf. Die Zeit, die an dieser Stelle investiert wird, zahlt sich im Nachhinein in einer leistungsfähigeren Mannschaft aus. Entscheidend dabei ist, wie gut es uns in der virtuellen Welt gelingt, emotional aufnahmebereit zu bleiben. Es ist also unsere Empathiefähigkeit, welche in Zeiten der digitalen Kommunikation mehr denn je gefordert ist und entscheidend dazu beiträgt, digitale Kommunikation erfolgreich zu gestalten.

Lisa Roth-Schnauer, Master of Arts in Erziehungswissenschaft, ist freiberufliche Trainerin und Coach, Lehrbeauftragte der TU Harburg und Lehrtrainerin im Schulz von Thun Institut für Kommunikation.
Seit 2013 arbeitet sie eng an der Seite von Prof. Schulz von Thun und liefert die Kommunikationsmodelle und Lehre „quasi von der Quelle“. Neben ihrer Lehrtrainertätigkeit in der Fortbildung von Menschen aus dem (psycho-)sozialen,
pädagogischen und politischen Bereich, arbeitet sie als freiberufliche Kommunikationstrainerin und Beraterin im Wirtschafts- und sozialen Bereich in Deutschland und der Schweiz.
Durch das Interview führte Christoph Smak