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Tischkicker ist New Work!

Natürlich machen es sich viele Unternehmen (zu) leicht, stellen einen Obstkorb hin und sprechen dann von New Work. Und doch können diese Kleinstmaßnahmen den Beginn des Wandels bedeuten. Also entspannen wir uns etwas und heißen sie willkommen.

 

 

"Echtes" New Work

 

Wenn man einen Account bei Twitter hat, kann man folgendes Experiment wagen: man umschreibt zunächst mit wenigen Worten eine Situation, die man für modernes Arbeiten hält. Zum Beispiel freut man sich über die Möglichkeit, fortan selbst seine Dienstreisen buchen zu können, anstatt einen Umweg über eine zentrale Abteilung machen zu müssen. Und dann – an der Stelle folgt der experimentelle Teil – setzt man den Hashtag #newwork drunter. Und dann heißt es warten.

 

Nicht selten springt binnen Minuten jemand aus der digitalen Hecke und fährt einen für die Verwendung des Begriffs „New Work“ an. Wer an der Stelle nachhakt wo denn das Problem sei, kriegt als Antwort, das sei gar nicht „echtes“ New Work. Wahre Kenner der Materie verweisen zusätzlich darauf, dass das bei Frithjof Bergmann so nicht stünde. Darum ist das also nicht New Work und der Verfasser der ursprünglichen Nachricht ein unwissender Stümper.

 

Tipp an der Stelle: nicht drauf eingehen, es ist eine thematische Sackgasse. Stattdessen zurücklehnen und diesen Blogartikel weiterlesen 😊

 

Was bisher geschah

 

Der Begriff des New Work geht tatsächlich auf den österreichisch-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurück. Er hat in den USA der 80er Jahre eine Initiative ins Leben gerufen, die ein alternatives Modell zur klassischen Lohnarbeit beinhaltete. Um seine Thesen ist es einige Zeit lang etwas ruhiger geworden, doch seit einigen Jahren ist ihre Umsetzung möglich(er) und sie werden wieder aufgenommen. Er nannte seine Bewegung schon in ihren Anfängen „Neue Arbeit“, was ihn zum Erfinder des Begriffs macht.

 

Und nun ist New Work überall. In allen Zeitschriften, auf Kongressen, in Podcasts und anderen Medien. Und das ist auch gut so. Denn die Zeit ist reif, die zum Teil 200 Jahre alten Muster von Führung, Arbeit, Prozessen und Haltungen neu zu denken und zu leben.

 

Tatsächlich passiert derzeit sehr vieles, das die Arbeit neu definiert. Nach Jahrhunderten der Verstädterung und Zentralisierung der Arbeit, erleben wir heute vermehrt ihre Dezentralisierung und eine Tendenz zum Individuellen. Arbeit und Zeit sind nicht mehr gleichgesetzt, auch das räumliche Verständnis der Arbeit wird neu definiert. Die Menschen in Organisationen streben vermehrt nach Sinnstiftung als nach Sicherheit, mehr nach eigener Entfaltung als nach Gehältern. Und nach Freude und Erfüllung, noch vor dem Feierabend.

 

Noch tun sich gängige Managementlogiken mit den neuen Vorzeichen schwer, doch es ist an vielen Orten spürbar, dass der Wandel im vollen Zuge ist.

 

In manchem Unternehmen gleichen

klitzekleine Schritte schon einer Revolution

 

 

Wilde Reden

 

Gesellschaftliche Veränderungen bedingen also eine neue, gängige Vorstellung der Arbeit, was wiederum den Wandel der Wirtschaft hervorbringt. Nicht etwa umgekehrt, wonach die Wirtschaft als solche aus einem „bösen Dämmerschlaf“ erwacht ist und plötzlich Moral, Sinn und Ganzheitlichkeit für sich entdeckt hat. Wir sind es, die die Arbeit wandeln. Die Arbeit die jeden Tag um uns geschieht, mit all ihren Besonderheiten.

 

Das tun auch diejenigen Menschen, die vielleicht noch nie etwas von Frithjof Bergmann gehört haben. Die kein Agile Transformation-Zertifikat besitzen, nicht systemisch geschult sind und die unseren Blog nicht lesen. Aber das muss alles gar nicht sein, denn sie wandeln ihr Umfeld trotzdem. Hemdsärmlich und direkt, ohne darüber zu philosophieren. Und wir sollten ihren Mut und die Tatkraft zelebrieren, anstatt wilde Reden darüber zu halten, ob das nun wirklich, wirklich New Work ist, oder nicht.

 

Gute Arbeit sollte dem Menschen dienen, nicht umgekehrt. Sie sollte uns Bestätigung, Kraft und Energie geben, statt diese zu fressen. Darauf können wir uns sicherlich alle einigen. Aber wenn wir die Sache realistisch betrachten, gibt es nur wenige Unternehmen, die sich eine eigene Abteilung für (kulturellen) Wandel leisten können. Mit Menschen darin, die sich tiefgründig mit der Thematik befassen, daraus einen Plan entwickeln und die Dinge anschließend an der Wurzel verändern.

 

Wandel abseits von „Naturgesetzen“

 

Stellen wir uns ein Unternehmen am anderen Ende des Spektrums vor. Eines, in dem in den letzten Jahrzehnten Initiativen wie Weihnachtsfeiern, Geburtstagsständchen oder auch nur die Bitte nach einem wöchentlichen Obstkorb als „sozialer Klimbim“ abgetan wurden. Hier kann das Aufstellen eines Tischkickers im Pausenraum (was häufig als DAS Beispiel herhalten muss, was New Work eben nicht ist) nicht nur ein erster, klitzekleiner Schritt zu einer neuen Arbeitskultur sein. Es kann in diesem Kontext sogar eine kleine Revolution sein.

 

Natürlich sind solche Maßnahmen zunächst nur Kosmetik, die über die eigentlichen Probleme und tiefgründigen Zerwürfnisse des Arbeitsgeschehens hinwegtäuschen.

 

Aber sie sind ein erster Schritt.

 

Der zweite wird sich anschließen und bereits etwas größer sein. Darum sollten wir Kleinstmaßnahmen nicht sofort zerreden, wenn es für das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt nun mal das Maximum des Wandels bedeutet.

 

Bergmann selbst hat gesagt, dass die Annahmen hinter der klassischen Lohnarbeit zu jung sind, um als Naturgesetz zu gelten. Vielleicht sollten wir das bei der Umsetzung seiner Ideen ebenso sehen, uns alle etwas entspannen und den Menschen am Tischkicker wünschen, dass sie ihre Entwicklung weiterhin nicht aus den Augen verlieren.

Diesen Blogartikel verfasste Christoph,

der echt mies ist im Tischkickern,

aber Frithjof Bergmann liest.