
Warum man Teams in der Krise nicht mit Workshops „beglücken“ sollte und warum stattdessen Teamleiter ihren Job machen sollten.
Ende des Sommers des vergangenen Jahres hat man uns beauftragt, ein Team aus einer Krise zu begleiten. Die Teamleiterin brachte zwei Kollegen in das neu gegründete Team mit, drei „waren schon da“ und drei weitere wurden neu eingestellt. Diese und andere Vorzeichen waren nicht gut und wurden bald bestätigt: Die ersten Aufträge kamen rein, blieben aber meistens liegen, weil das Team die meiste Energie darauf verwendete, um Rollen und Positionen zu kämpfen, Fassaden aufzubauen und diese zu verteidigen.
Willkommen in der Storming-Phase, würde jetzt jeder Teamentwickler sagen und damit richtig liegen. Diese ist kaum vermeidbar, wenn sie auch in ihrer Intensität unterschiedlich ausfallen kann.
Also sollten nun zwei Workshop-Tage endlich die (Er-)Lösung bringen.
Mission impossible und Business-Theater
Denken wir den Auftrag mal weiter, wie er idealerweise laufen sollte: wir würden mit dem Team einen intensiven, zweitägigen Workshop machen. Wir würden viel Tacheles reden und Probleme natürlich klar ansprechen. Nach einiger Zeit würden sich die Wogen glätten und die Kollegen sich die Hand reichen. Wir würden dann endlich lösungsorientiert denken und Ideen auf bunte Karten schreiben. Daraus würden wir Maßnahmen generieren die das Team voranbringen. Damit hätten wir die Norming-Phase erreicht, in der die Arbeit wieder Spaß macht und der Fokus auf der Teamleistung liegt.
Echt jetzt? Ein Team-Wappen malen und auf das Wunder der Einsicht hoffen? Bunte Karten mit totgesagten Ideen schreiben? Sich im zweitägigen Business-Theater sozial erwünscht Wertschätzung und Transparenz versprechen? Auch der größte Optimist sieht hier doch zumindest einige Punkte, die höchstwahrscheinlich nicht eintreten werden.
Der Plan, der keiner war
Darum gingen wir zur Teamleitung mit anderen Ansätzen und sahen den Auftrag schon im Fach „Abgesagt“ landen. Denn wir kamen mit einer arbeitsintensiven Idee. Das Team sollte über Führung, Impulse und Experimente aus der Krise geführt werden. Ohne Workshop und ohne heilige Versprechen auf bunten Karten.
Zum Glück haben wir mit Maria (Name geändert) eine Teamleiterin gefunden, die genau weiß was sie macht, offen ist für pragmatische Wege und Herausforderungen mutig angeht. Ob der Satz „Kotzende Menschen kann man nicht füttern“ die Entscheidung gegen einen Workshop begünstigte, bleibt im Bereich der Mythen und Legenden.
Wir (Storylines) wurden dem Team zwar vorgestellt um Transparenz in das Vorhaben reinzubringen, doch fortan haben wir nur die Teamleiterin Maria begleitet. Zudem machten wir sehr deutlich, dass die Verantwortung für eine Verbesserung der Situation ausschließlich bei der Teamleitung und dem Team liegt.
In regelmäßigen Treffen haben wir mit Maria Interventionen und Experimente fokussiert, um das Team aus der Storming-Phase zu begleiten. Anschließend gingen wir in die Retrospektive und betrachteten die vergangenen Wochen.
"New Work ist keine Sozialromantik. Es bedarf einer soliden Grundlage. Und einer guten Führung."
Hier eine (sehr gekürzte) Zusammenfassung einiger Schritte, die dabei entstanden:
1. Autorität nutzen
Was? In einer agilen Welt? Und ob! Denn in dieser Situation ist an selbstgesteuertes Arbeiten nicht zu denken. Und Autorität ist ja nicht gleich Entmündigung oder Geschrei. Die Teamleiterin sollte vielmehr an die Ziele des Teams erinnern und ihre Dreifaltigkeit der Autorität (Position+Fachwissen+Charakter) nutzen, um eine schlimmere Eskalation zu verhindern.
2. Sich nicht „aufs Pferd setzen lassen“
Fast täglich kam ein Teammitglied zu ihr und wollte ihr eine Information über einen Kollegen „stecken“ oder darum bitten, dieser Person eine Zurechtweisung zu erteilen. Maria sollte die Retterin der Situation sein.
Maria antwortete jedes Mal, dass derjenige zwei Möglichkeiten hätte: er kann die Dinge selbst ansprechen und versuchen zu lösen. Oder aber er bringe die besagte Person mit und Maria moderiert ein klärendes Gespräch zwischen den beiden. Binnen drei Wochen ließen die Anschuldigungen über Kollegen in den Einzelgesprächen nach.
3. Muster erkennen
Ein Schachspieler ist gut beraten, das gesamte Spiel zu überblicken, anstatt nur die Züge einzelner Figuren zu kennen. Daher vermittelten wir Maria mehrere Modelle, mit denen sie die Muster in ihrem Team besser erkennen konnte. Zudem baten wir sie darum, auf Wortwahl und Kommunikationsmuster in ihrem Team zu achten. Daraus konnten wir weitere Impulse ausarbeiten.
4. Härtetests aushalten und Seitenhiebe aktiv angehen
Maria selbst wurde von Teilen des Teams in Frage gestellt. Mal mehr, mal weniger offensichtlich. Wir reflektierten diese Szenen und arbeiteten passende Gegenmaßnahmen aus, damit sie solchen Situationen besser begegnen konnte. Letztendlich hat sich die Maxime bewährt, dass sie die Konflikte und kleinen Spitzen im Alltag aktiv angehen sollte. Nicht wegschauen, sondern klar machen, dass sie es wahrnimmt und nicht ignoriert. Und auch mal ein lautes „So nicht!“ aussprechen um ein Zeichen zu setzen, dass Regelbrecher bei ihr nur wenig Raum haben.
5. Wertschätzung für Omega, Kompromisse mit Alpha
Durch den Crash-Kurs in Sachen Muster erkennen ist Maria bald „das Omega“ des Teams aufgefallen. Also das Teammitglied, dessen Meinung am wenigsten zählt und der häufig als Sündenbock herhalten muss. Maria bewies Größe, indem sie das Gruppenspiel nicht mitspielte und diesem Menschen ebenfalls wertschätzend begegnete. Das verdeutlichte ihre Haltung und war der live-Beweis, dass Wertschätzung für sie kein buntes Kärtchen, sondern eine persönliche Maxime war.
Das „Alpha“ wiederum ist das Teammitglied, welches die Meinung maßgeblich prägt und als starke Person häufig Grabenkämpfe mit dem Teamleiter ausfechtet. Dies galt es auszuhalten, Kompromisse zu finden und auf beiden Seiten das Gesicht wahren zu lassen. Mit der Zeit wurde aus dem einstigen Widersacher ein sehr guter Begleiter bei Marias Vorhaben.
Und dann erst kam der Hunger
Was insgesamt also passierte, war pure Führung. Und es war harte Arbeit. Für alle Beteiligten. Es dauerte insgesamt fast fünf Monate, bis wir einen wirklich spürbaren Wandel im Team hatten. Aber dann war das Team aus der Krise, war neugierig auf weitere Entwicklung und schlichtweg hungrig auf Neues.
Und erst an DIESER Stelle haben wir einen Workshop geplant und durchgeführt. Darin sprachen wir über die neue Teamvision. Auch über Prinzipien, die sich als gut und wichtig entpuppt haben. Wir klärten noch fehlende Punkte, glätteten die (letzten) Wogen und gingen mit einer Energie aus dem Workshop, welche vor dem Prozess völlig unmöglich erschien.
Führung führt zu New Work
Wir begleiten Menschen, Teams und Unternehmen zu New Work. Darunter mag sich mancher vorstellen, dass wir stets empfehlen nicht autoritär vorzugehen, den Teams größtmögliche Spielräume zu ermöglichen oder schlichtweg hippe, bunte Impulse liefern.
Aber es wäre nutzlos, wenn die Basis im Team nicht vorliegt. New Work ist keine Sozialromantik. Es bedarf einer soliden Grundlage. Und einer guten Führung.
Mit dem Team von Maria arbeiten wir immer noch zusammen und nehmen uns quartalsweise neue Experimente vor. Das macht Spaß und gibt geniale Erkenntnisse. Aber wir vergessen nicht die Phase, in der alle ko*#%ten und nicht gefüttert werden wollten. Dass das Team diese Zeit überwunden hat, macht es so großartig.
DANKE Dir, "Maria", dass wir Deine Teamentwicklung hier thematisieren durften.
Dir und Deinem Team weiterhin viel Erfolg. Ihr seid klasse!
Christoph Smak und Team