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Sind jetzt alle irre geworden? Selbstgesteuerte Entwicklung

Ein paar Grundgedanken vorweg

 

Wir arbeiten heutzutage cross-funktional und ohne feste Arbeitsplätze, virtuell und flexibel, selbstorganisiert ohne Teamleiter, inkrementell und iterativ, hochtransparent und kundenzentriert.

 

 

 

 

Und dann werden wir für ein Entwicklungsprogramm eingeplant und bekommen in einer Kick-Off-Veranstaltung gesagt, was auf uns zukommt. Zusammen mit Gleichartigen werden wir einen vorbestimmten, starren Ablauf mit vier Mal zwei Tagen Training hinter uns bringen. Die Themen hat man bereits für uns festgelegt, die Trainer gebucht und die Termine gesetzt. Kann losgehen.

 

 

 

 

Als ehemaliger Personalentwickler habe ich selbst mit meinen Kollegen jahrelang ganze Programme gestaltet und organisiert. Heute jedoch will ich einen irren Blick aufsetzen, meine Erfahrungen als Agiler Organisationsentwickler nutzen und ohne jede „Das-geht-nichts“, „Das-haben-wir-noch-nie-gemachts“ und „Könnte-uns-um-die-Ohren-fliegens“ ein möglichst mutiges, kundenzentriertes und flexibles Programm entwerfen.

 

 

 

 

Hier kommt der Entwurf für ein Entwicklungs-Programm mit zahlreichen agilen Ansätzen und Wertvorstellungen, chronologisch geordnet:

 

 

 

 

1. Pull-Prinzip: Alle können sich anmelden

 

 

 

Es gibt viele Programme nur für Führungskräfte, einige für angehende Führungskräfte und wenige für Mitarbeiter. Macht das denn Sinn? Sitzen nicht alle im selben Boot und kooperieren miteinander? Hier der neue Ansatz: man ruft im Unternehmen aus, dass demnächst ein attraktives Entwicklungsprogramm stattfinden wird. Alle Interessierten werden zur folgenden Kick-Off-Veranstaltung eingeladen, unabhängig von ihrer Position oder anderen Faktoren.

 

 

 

 

2. Selbstverantwortung: Die Themen werden gemeinsam entschieden

 

 

 

Wo bislang die Planung hinter verschlossenen Personalertüren stattfand, wird folgendes gesetzt: alle Interessierten werden zu einem Barcamp eingeladen, um die Themen selbst zu finden und zu erarbeiten. Durch zielorientierte Moderation sollen einzelne Teilnehmer ihre persönlichen Lernziele nennen. „Ich möchte mehr Kompetenzen zum Thema Change erwerben“ oder „…zu modernem Vertrieb…“ oder „…Führung virtueller Teams…“ etc. Nun werden – in bewährter Barcamp-Manier – die anderen Teilnehmer gebeten, sich denjenigen anzuschließen, deren Ziele sie teilen.

 

 

 

Von nun an erfolgt die Lernreise – und auch die weitere Anleitung hier – in den so entstandenen einzelnen Gruppen, den Lernteams.

 

 

 

 

3. Backlog befüllen: Ziele in der Gruppe formulieren

 

 

 

Nachdem die Themen genannt wurden und sich die Lernteams zusammengefunden haben, sollten – idealerweise moderiert – ihre genaueren Ziele aufgestellt werden. Anhand des Umfangs dieser kann man schon bereits erkennen, wieviel zeitlicher Aufwand gefordert sein wird. Zudem können Teilziele genannt werden, um die großen Themen kleiner zu schneiden. Diese werden anschließend priorisiert.

 

 

 

 

4. Commitment: Die Sache mit dem Budget

 

 

 

Wenn ich den Leser jetzt noch nicht genügend geschockt habe, tue ich es jetzt: es gibt kein Budget, das HR oder sonst wer bereitgestellt hat. Stattdessen bringt jeder das mit, was seine Organisationseinheit investieren kann. Ist ein Bereichsleiter unter den Lernteammitgliedern, fällt sein Beitrag eventuell üppiger aus als der eines teilnehmenden Mitarbeiters. Das gilt es auszuhalten. Am Ende haben wir einen Teamtopf, aus dem die Lernteams das folgende Programm finanzieren können.

 

 

 

 

5. Nicht jeder lernt in Seminaren

 

 

 

Nun, da wir Teilnehmer, Ziele und Budget haben, gilt es die Wege zu finden, die aufgestellten Teilziele zu erreichen. Manche werden durch den gemeinsamen Besuch einer Messe oder eines Kongresses abgehakt. Andere durch Hospitation, Lektüre mit anschließendem Austausch, job-rotation, e-learning, peer-coaching oder eben ein Training. Alle Formen des Lernens sind erlaubt, so lange sie förderlich sind (und das Budget nicht sprengen).

 

 

 

 

6. Selbstorganisation

 

 

 

Wer soll sich denn nun um Locations, Trainer, Termine und alle anderen organisatorischen Tätigkeiten kümmern? Kein anderer als das Team selbst. Klar ist es ein Mehraufwand. Doch das fördert ganz nebenher Softskills und Werte wie Kooperation, Kommunikation, Selbstverantwortung etc. Und in jedem Team gibt es zudem mindestens ein Organisationstalent, welchem die Dinge keine große Mühe bereiten, das ein online-Tool zur Koordination aufsetzt, sein Netzwerk nutzt etc.

 

 

 

 

7. Iteratives Lernen in Sprints

 

 

 

Und nun geht die gemeinsame Reise los. Gelernt wird dabei in Sprints von 4-6 Wochen je Teilziel. Auf denjenigen Wegen, die zum jeweiligen Teilziel am besten passen (wie in Punkt 5 beschrieben). Anschließend gönnt sich das Lernteam eine Retro auf den vergangenen Sprint. Was lief im Teamgefüge gut? Was können wir verbessern? Was brauchen wir für die weitere Entwicklung? Anschließend wird das Lern-Backlog erneut betrachtet, eventuell neu priorisiert und der nächste Lern-Sprint geplant.

 

 

 

 

8. Review: Lerne gutes und spreche darüber

 

 

 

Nach dem Barcamp (Punkt 2) wurde die Gesamtgruppe auf die Lernteams aufgeteilt. Nach zwei Lernsprints könnte man erneut alle zusammenbringen, um die Zwischenerfahrungen auszutauschen. Ein gewisser Teamstolz ist dabei ein angenehmer Nebeneffekt. Zudem kann man sich über die verschiedenen Lernwege austauschen, die Entwicklungen des Teamgefüges reflektieren und andere gemeinsame Themen aufarbeiten.

 

 

 

 

9. Weitere Lernsprints und Abschluss

 

 

 

Anschließend erfolgen so viele Wiederholungen aus Backlog-Priorisierung, Lernsprint-Planung, Sprint und Review, bis das jeweilige Lernteam seine Ziele erreicht hat. Das kann je nach Anzahl der Teilthemen zu unterschiedlichen Zeitpunkten sein. Dennoch sollte im Anschluss eine gemeinsame Veranstaltung erfolgen, bei der die Entwicklung reflektiert und zelebriert wird.

 

 

 

 

So, genug irrer Gedanken. Keine Sorge um uns, auch wir sehen zu jedem Punkt zahlreiche Herausforderungen, sei es organisatorischer Art, oder in den sehr hohen Ansprüchen an die Haltung aller Beteiligten. Es ist nicht zwingend notwendig, diesen Entwurf in allen seinen Unterpunkten umzusetzen. Aber wie wäre es, wenn man z.B. die Teilnahme an Entwicklungsprogrammen für alle Teilnehmer öffnet? Oder ihnen selbst die Wahl der Themen überlässt? Oder wenigstens eine Diversität an Lernmethoden einführt, anstatt lediglich auf Seminare zu setzen?

 

 

 

 

Ach ja, liebe Personaler, wenn Ihr es zwischen den Zeilen noch nicht entdeckt haben solltet: nein, ihr werdet dadurch nicht überflüssig! Um ein solches Programm wahrwerden zu lassen, braucht es zahlreiche Eurer Fähigkeiten. Ob Organisation, Moderation, Beratung, Coaching, Netzwerken oder Evaluation. Die Aufgaben würden sich verändern, Eure Wichtigkeit wiederum steigen. Und solltet Ihr es tatsächlich schaffen dieses Konstrukt in die Tat umzusetzen, ist Euch sehr wahrscheinlich, dass wir von Euch in einer Fach-Zeitschrift lesen. Also nur Mut!

 

 

 

In diesem Artikel haben wir in knapper, kurzer Form die Kerngedanken zusammengefasst. Wer mehr wissen will, findet weiter unten eine grafische Darstellung und einen Blueprint des Programms. Zudem kann man uns gerne kontaktieren und wir denken gemeinsam an weiteren, wahnsinnigen Fragen herum.

Ohne den ersten Anstoß unseres Kollegen Marcus Backhaus,

hätte es dieses Blueprint übrigens nicht gegeben.

DANKE für die erste Idee!

 

Christoph Smak

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Blueprint_Agiles_Entwicklungsprogramm_St
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