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Jura und New Work, wie passt das zusammen? - Interview mit Katharina Ziegler

Katharina, Du bist Juristin, begeisterst Dich zugleich für Themen wie working out loud, Organisationsentwicklung oder New Work. Für mich sind es zwei Welten: starre Regelwerke auf der einen und agile Denkweisen auf der anderen Seite. Wie siehst Du das?
 
Ich sehe das etwas anders und antworte darauf mit der wohl liebsten Antwort des Juristen: „das kommt darauf an“. Das kommt daher, dass jedes Regelwerk im Rahmen seiner Grenzen auslegbar ist - und somit gar nicht starr ist. Wie Regelwerke in Unternehmen dann umgesetzt werden, hängt zum Teil von den Personen ab, die sie auslegen und schließlich um- und durchsetzen. Außerdem nicht zuletzt von der Unternehmenskultur, deren Werte von oben gelebt und durchgesetzt werden. Und das sind wiederum Arbeitnehmer und Fachabteilungen, die sich besser früher als später mit neuen Arbeitsmethoden und agilen Denkweisen auseinandersetzen müssen.
 
Hast Du dafür Beispiele aus der Praxis?

 

In den letzten fünf Jahren war ich in verschiedenen Branchen tätig und habe im regulatorischen Apparat von Rechtsabteilung bis zum Audit schon viele Eindrücke gewinnen können. Was die Kundenseite bzw. die Seite der Fachabteilung betrifft, hat sich oftmals  der Eindruck durchgesetzt, dass "die aus der Rechtsabteilung oder von der Compliance" eher ungeliebte Mehrarbeit ohne Mehrwert für die  jeweilige Abteilung generieren. Diesen Eindruck aus der alten Arbeitswelt könnte man jetzt vielleicht am Schopfe packen und mit den Prinzipien von New Work neu begreifen.

 

Welchen Mehrwert aus der regulatorischen Arbeit kann es geben?

 

Ich bin mir im Klaren darüber, dass es einige Dokumentationsvorgaben oder Einschränkungen gibt, die in erster Linie der Einhaltung von Gesetzen oder Vorschriften dienen. Wenn die Fachabteilung ihre Arbeitsabläufe hinsichtlich von Digitalisierung aber einmal neu modelliert, wird sie beispielsweise nicht nur aus rechtlichen Gründen neue Speichervorgaben für ihr Team entwickeln müssen. Wie, wo und wann Dokumente abgelegt werden, kann auch für Transparenz und Wissenserhalt interessant sein. Das zahlt durchaus auf New Work und Agilität ein. Wenn also die Rechtsabteilung und der Fachbereich aufeinander zugehen und offen miteinander sprechen, können sie Lösungen finden, die allen Beteiligten die Arbeit erleichtern.
 
Ist das in Unternehmen der Fall? 

 

Durchaus. Gerade Beratungsunternehmen spezialisieren sich gerade verstärkt auf Compliance- und Risikokultur. Vor allem unter Berücksichtigung von neuen Bedingungen durch die digitale Transformation. Besonderes Augenmerk wird hier auf die Hinterfragung des Risikobewusstseins von oben und die Sensibilisierung der betroffenen Mitarbeiter und Führungskräften im Berufsalltag gelegt. Der Idealfall wäre natürlich, wenn das regulatorische Konzept Teil der Management-Strategie wäre. Zudem sollte dies auch von der obersten Ebene vorgegeben und in der gesamten Matrix gelebt werden. Oft scheitert es hier aber an der Konsequenz - auch an der Rückendeckung für die regulatorische Instanz. Manchmal aber auch an dem Mindset gegenüber ihren Aufgaben.
 
Beim Thema Mindset werde ich immer sehr hellhörig. Was heißt das genau?

 

Ich habe den Eindruck, dass die Machtverhältnisse oftmals noch sehr klassisch aufgebaut sind: Die Compliance/Audit-Abteilung führt aus, weil sie die Befugnis und/oder regulatorische Pflicht hat. Die Fachabteilungen leisten entsprechend Ihrer Möglichkeiten und Machtgrenzen Folge. Beide versuchen ihren "Tanz- und Gewaltenbereich" aufrecht zu erhalten und zu verteidigen. Sie könnten jedoch ungemein voneinander profitieren, wenn sie sich als System verstehen. Und das wird im Zuge der neuen Arbeitswelten noch viel wichtiger. Ein worst case wäre, wenn neue, innovative Arbeitsprozesse aufgrund von regulatorischen Vorgaben so gebremst werden, dass die Innovation faktisch nicht eintreten kann.
 
Die Arbeitswelt von morgen ist gekennzeichnet durch den Umgang mit unbekannten Faktoren und einer gewissen Fehlertoleranz. Was könnte das für den Juristen von morgen bedeuten?

 

Gerade die Experimentier- und Fehlerkultur klingt für die jurisitische Arbeit wie ein Widerspruch. Und für gewisse Handlungsentscheidungen wird sich das auch nicht ändern lassen, denn gerade auf rechtlichen Rat muss man sich im beruflichen Alltag verlassen können. Allerdings besteht die Arbeit in Rechtsabteilungen auch aus vielen anderen Aufgaben und Abläufen, in der Eigenschaften wie Experimentierfreude, Selbstorganisation und Fehlertoleranz eine große Chance bedeuten können.
Zusätzlich kann ich mir vor-stellen, dass die juristische Arbeit auf die zunehmende Flexibilität reagieren muss, die durch die neue Arbeit auf sie zukommt. Wahrscheinlich wird es nötig werden, Anfragen- und Beratungsprozesse neu zu gestalten und die rechtlichen Belange einzelner Abteilungen schon früher abzugreifen - durch frühe Involvierung, eine gewisse Übergabe von Entscheidungs- und Handlungsmacht an die Fachabteilungen und eine transparente und flexible Zusammenarbeit.

 

Katharina Ziegler ist Diplom-Informationsjuristin und hat mehrere Jahre in Compliance-/Rechts- und Risikoabteilungen der Videospielbranche und Unternehmensberatung gearbeitet,

wo sie stets Lösungen zwischen rechtlicher Vorgabe und business need suchte.

Gerade macht sie eine Ausbildung zum Systemischen Coach, konzipiert ehrenamtliche Schulungen für eine studentische Organisation und entdeckt für sich das neue Format working out loud. Sie lebt und arbeitet in Frankfurt.

 

Durch das Interview führte Christoph Smak